Januar 6, 2017
Er wird derzeit immer mehr über die „Neu-Rechte“ Bewegung gesprochen. Stichwortgeber für die AfD? Ein Zusammenschluss von Verschwörungstheoretiker? Eine gefährliche Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte? So richtig zu fassen ist die Bewegung nicht. Das liegt auch daran, dass in Deutschland Berifflichkeiten und Analyseverständnis fehlen um die intellektuellen Köpfe hinter der Bewegung zu beschreiben, sagt Andreas Speit, Rechtsextremismus-Experte und Buchautor. Ich habe mit ihm über die Publikation „Sezession“ gesprochen, die unter anderem im Internet Artikel veröffentlicht. Er ist der Meinung, Publikationen wie diese, wurden lange Zeit unterschätzt.
Herr Speit, bislang wurde „Sezession im Netz“ in der breiten Öffentlichkeit noch nicht thematisiert, ist es deshalb auch unwichtig?
Nein, ich würde sogar sagen: das ist der große Fehler. Über Jahre konnte ich erleben, das wenn ich das Thema „Neue Rechte“ vorschlug, wenig Interesse in den Redaktionen aufkam. Seit über 30 Jahren besteht dieses Milieu zu dem die „Junge Freiheit“, die „Blaue Narzisse“ und das „Institut für Staatspolitik“ gezählt wird. Das Portal „Sezession“ gehört zum Institut für Staatspolitik um Götz Kubitschek und Ellen Kositza. In den Redaktionen hieß es oft: „Neue Rechte diskutieren über Neurechte, in neurechten Foren und tauschen sich über neurechte Themen aus, wen interessiert es?“ Ich würde böse sagen, es hätte uns vor einigen Jahren interessieren müssen. Um heute erkennen zu können, wie beispielsweise die AfD Themen lanciert, Argumente aufbaut und Debatten forciert. Aus den verschiedenen Spektren der Neuen Rechten kommt teilweise das Personal der Partei – und auch einzelne ihrer Positionen. Verschiede Akteure der AfD sind mit dem „Thinktank“ der „Neuen Rechten“ eng verbunden. Es ist missachtet worden, dass die Neue Rechte in diesem diskursiven Raum eine „Kulturrevolution von Rechts“ anstrebt, auch um für eine Partei das politische Klima mit vorzubereiten.
Sie stehen sich sehr nahe
Welche Verbindung gibt es denn zu AfD?
Dem „Institut für Staatspolitik“ steht der thüringische Landtagsfraktionvorsitzende der AfD Björn Höcke sehr nahe. Mit Kubitschek ist er per du, sagt selbst das es für ihn ein politischer Labsal sei, bei Veranstaltungen des Institutes teilzunehmen. Der Landtagsabgeordnete der AfD-Fraktion in Sachsen-Anhalt Hans-Thomas Tillschneider steht ebenso dem Institut nahe. Beide, Höcke mit dem Netzwerk des „Flügels“ und Tillschneider mit der „Patriotischen Plattform“, forcieren in der AfD den Rechtskurs der Partei. Aber auch Alexander Gauland ist nicht bloß ein enttäuschter CDUler. Er schrieb auch in dem neurechten Magazin „Criticon“. Das Blatt , in dem auch Kubitschek veröffentlichte, ist schon länger eingestellt. Gezielt hat das Institut mit verschiedensten Veranstaltungsformen und Publikationsoptionen Personal für die politische Auseinandersetzung gegen die vermeintlich totalitäre Egalität ideologisch versucht zu schulen.
Quelle: wikipedia.de
Links-rot-grün-verseuchtes 68-Deutschland
Inwieweit ist „Sezession“ dann Stichwortgeber für die AFD?
Die Partei ist äußert heterogen. Sie eint aber nicht bloß die Ablehnung der Flüchtlings-, Einwanderungs- und Asylpolitik. Sie eint auch vor allem die Absage an die „68er“, der „Political correctness“, des „Genderwahns“ und des „Gutmenschentum“. In Stuttgart brachte es der Bundessprecher Jörg Meuthen kurz auf den Punkt, als er sagte, dass sie weg wollen von dem „links-rot-grün-verseuchten 68-Deutschland“. Die Autoren der Sezession treffen keine andere Aussage.
Wie weit rechts ist denn die Publikation?
Pointiert gesagt: Wir sitzen in der „Faschismus-Falle“. Wenn weit rechten Personen ein Bezug zum Rechtsextremismus nachgewiesen wird, oder deren Argumentation sich im Kontext des Nationalsozialismus bewegen, ist schnell eine gesellschaftliche Grenze gezogen. Aber wir haben kaum ein Gespür und Instrumentarium wenn weit rechte Personen und Parteien diese Bezüge nicht aufweisen. Dass sie dennoch radikal anti-demokratisch und anti-emanzipatorisch sind, verblasst oft. Jenseits von Fachkreisen wurde sich auch kaum mit den Vordenker der Neuen Rechten, der Konservativen Revolution und des italienischen Faschismus in der 20er und 30er Jahren auseinandergesetzt. Bei den Autoren der Sezession ist das der ideologische Bezugsrahmen. Mir scheint das beispielsweise die Formulierung des Konservativen Revolutionär Arthur Möller van den Bruck „An Liberalismus gehen Völker zugrunde“ in ihrer Radikalität nicht wahrgenommen wird. Ihre philosophisch-politischen Texte beinhalten oft die Sehnsucht nach einem autoritären Staat und befeuern rechte Ressentiments.
Sie verstehen sich als geistige Elite
Ist die intellektuelle Sprache gewollt?
Sie verstehen sich als „geistige Elite“ und pflegen einen entsprechend Habitus und eine besondere Rhetorik. Aber durch Ausdrucksformen und Wortwahl, wenn sich auf Geistesgrößen wie Martin Heidegger bezogen wird, sollten man sich nicht blenden lassen. Auch nicht durch die vermeintliche Größe der Zitierten. Den tiefen Antisemitismus von Heidegger hat unlängst Donatelle di Cesare herausgearbeitet. Die verkomplizierte Sprache kann entlarvt werden. Das sie anders sprechen als die NPD, sollte nichts an deren Radikalität verklären
Wie massentauglich ist „Sezession“ im Netz?
Sie wollen „die Masse“ gar nicht erreichen. Ihre Strategie der „Kulturrevolution von Rechts“ zielt auf die gesellschaftlichen Eliten, deren Denken und Handeln wollen sie beeinflussen. Die Idee, das erst im vorpolitischen Raum die Debatte und das Verhalten beeinflusst werden muss, um im politischen Raum die Macht zu gewinnen, entwickelte der italiensche Kommunist Antonio Gramsci. Anders als der französischen neurechten Vordenker Alain de Benoist, der den „Gramscismus von rechts“ formulierte, wollte aber die Massen bewegen.
Sie haben keine positive Utopie
Was wollen die Macher erreichen?
Das ist das Besondere: Wogegen sie sind, darüber besteht Einigkeit. Wofür aber nicht. Das haben sie mit den Herren der Konservativen Revolution und des italienischen Faschismus gemein. Sie haben eigentlich keine positive Utopie. Bleiben im Wagen und Ungenauem, wie denn „ihr Staat“ aussehen sollte. Ein Kollege hat mal zur AfD beschrieben, dass sie das Deutschland vor 1968 wollen. Wo der Mann noch Mann ist, wo die Frau noch Frau ist – die Rollen und Berufsfelder waren klar. Vor allem war Deutschland ein Land, ohne größere Einwanderung, ein Land in dem man „deutsch sein kann“ und man sich keine Sorgen machen musste, dass auf einmal das Zigeunerschnitzel nicht mehr Zigeunerschnitzel genannt werden darf.
Macht Ihnen das Sorgen?
Es macht mir deswegen Sorgen, weil wir merken, dass es eine Erosion in der Mitte der Gesellschaft gibt. Die Neue Rechte sagt selbst, dass sie ohne Repräsentanten, die aus der Mitte der Gesellschaft die einschlägigen Themen forcieren und Ressentiments schüren, nicht so erfolgreich wären. Ganz besonders dankbar ist Kubitschek so auch Thilo Sarrazin, den er als „Rammbock“ würdigt. Die aktuelle Entwicklung wirft aber auch die Frage auf, wie weit Deutschland demokratisiert ist, inwieweit emanzipatorische Gedanken verankert sind. In den vergangenen Jahren erleben wir in der Mitte der Gesellschaft – durch berechtige Sorgen um die soziale Sicherheit und den politischen Bedrohungen und vermeintlichen Ängsten vor angeblichen Überfremdung und bürgerferner Politik – eine Hinwendung zu autoritären Denkmustern und sozialen Ressentiments und rassistischen Vorbehalten. Auch gerade bei jenen, die sich aus sozialen Gründen nicht vor einem ökonomischen Abstieg sorgen müssten.
Die soziale Plombe implodiert
In der Sozial- und Politikforschung wird gerade darüber gesprochen, ob nach 1945 eine „soziale Plombe“ dazu führte, dass sich in Deutschland demokratische Vorstellungen etablieren könnten und ob diese „Plombe“ nun aber implodiert. Diese soziale Plombe war das Versprechen: „Den Kindern geht es immer besser.“ Genau das gilt heute nicht mehr. Wir wissen alle, dass diese Zeiten vorbei sind. Ein guter Abschluss garantiert nicht, dass man beruflich ankommt und das scheint viele, auch gerade in der Mittelschicht, unglaublich zu verunsichern. Da scheinen autoritäre Lösungsvorschläge, Hauruck-Methoden und schnelle Zuschreibung von vermeintlicher Schuld unglaublich populär zu werden. Die Firnis der Empathie scheint dünn – denn auch der Hass gegen die sozial Schwachen steigt.
Häufig werden in den Artikeln angebliche Fakten direkt bewertet. Ist das gewollt?
Ich würde sagen, dass die Seite eigentlich eine Kommentar-Seite, eine meinungstarke Seite von weit rechts ist. Die einerseits immer beklagt, dass es eine „Lügenpresse“ geben würde, das Kommentar und Berichterstattung nicht getrennt würden in den öffentlich-rechtlichen Medien. Aber de-facto ist es vorallem bei „Sezession“ so, das Meinungstexte überwiegen. Ein aktueller Anlass wird nicht genommen um ihn im Kleinste nachzuzeichnen, damit sich selbst ein Bild gemacht werden kann, sondern er wird in deren politischen Denken eingebettet um das als richtig und wahrhaftig darzustellen.
Sezession wird größer werden
Wird der Stellenwert von „Sezession“ noch größer werden?
Ich glaube ja. Natürlich nicht für die breite Mitte, aber da wollen sie nicht hin. Die Namenswahl Sezession – Abspaltung – deutet auch schon an, dass sie aus der inneren Distanz in die politische Mitte wirken wollen. An die 5.000 Personen“, so Kositza, hätten über die Jahre mindestens an diesen Veranstaltungen teilgenommen. Ihre Webseite erfuhr laut ihr Anfang 2016 30 000 Zugriffe. Es dürften mehr geworden sein.
Andreas Speit hat gerade ein Buch zum Thema veröffentlicht:
„Bürgerliche Scharfmacher – Deutschland neue rechte Mitte“, orell füssli Verlag, 352 Seiten.